ZUR INVASION AKADEMISCHER ELFENBEINTÜRME 
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Hybrider Vortrag


John Michael, Mailand:
Der moralische Sinn: Ein minimaler Ansatz
Datum: 12.12.2023 (20:00–22:00)
Ort: Kulturcafé URBAYN, Berlin

WEGBESCHREIBUNG

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* online: 

Interessierte, die noch nicht auf der MoMo-Einladungsliste stehen, erhalten nach entsprechender Bitte per Email an MoMo Berlin (info@momo-berlin.de) gerne den Zoom-Link.

Der moralische Sinn: Ein minimaler Ansatz

Sogenannte Dual-Process-Theorien haben mit Kahnemans Buch ‚Schnelles, langsames Denken‘ Eingang in viele Debatten gefunden. In der Moralpsychologie wird seit mehreren Jahrzehnten versucht, Dual-Process-Theorien an den ethischen Bereich anzupassen. Nach der führenden Dual-Process-Theorie, die von Greene und Haidt (2002) entwickelt wurde, setzen schnelle Prozesse (System 1) einfache Regeln um und kommen typischerweise zu deontologischen Urteilen, die von starken Emotionen unterstützt werden, während langsame Prozesse (System 2) die längerfristigen Kosten und den Nutzen der verfügbaren Optionen für alle betroffenen Parteien abwägen und typischerweise zu utilitaristischen Urteilen kommen. Jedoch haben empirische Studien zu dieser Aufteilung widersprüchliche Ergebnisse geliefert, die uns dazu veranlassen, unsere Konzeptualisierung schneller, intuitiver Prozesse im ethischen Bereich zu überdenken.
Um diese Herausforderung anzugehen, wird in diesem Vortrag ein Ansatz präsentiert, der sich an der Evolution von Mechanismen zur Erkennung und Vermeidung von Giftstoffen orientiert. Diese heterogenen Mechanismen sind bei einer Vielzahl von Tieren zu beobachten und funktionieren, ohne dass Tiere irgendwelche chemischen Gesetze oder sonstige Prinzipien verstehen müssten.
Entscheidend ist, dass der hier entwickelte Ansatz einen Schlüssel zur Interpretation der oben erwähnten Muster empirischer Befunde liefert: Obwohl schnelle moralische Mechanismen die Urteile der Teilnehmer in verschiedenen Situationen auf unterschiedliche Weise beeinflussen können, gibt es keinen Grund zu erwarten, dass sie systematisch zu deontologischen Urteilen führen, da sie weder deontologische noch utilitaristische Regeln oder überhaupt irgendwelche Regeln oder Prinzipien beinhalten. Der Ansatz beleuchtet auch eine Reihe von Fällen, die wir als ‘normative Entkopplung’ bezeichnen, in denen Menschen so tun, als würden sie ein bestimmtes normatives Prinzip unterstützten, obwohl sie das Prinzip nicht wirklich unterstützen, und eventuell nicht einmal glauben, dass andere es unterstützten. Wir erörtern Fallstudien über Fußfesseln, weibliche Genitalverstümmelung, Sexismus und Homophobie/Transphobie.

Zum Vortragenden:

John Michael PhD ist Assistenzprofessor an der Philosophischen Fakultät der Universität Mailand. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Theorie des gemeinsames Handelns und Engagements, Mensch-Roboter-Interaktion, Wirtschaftsphilosophie, moralische/normative Psychologie, Meta-Ethik, Entscheidungstheorie.

Publikationen (Auswahl):

  • Michael, J. (2021). The Philosophy and Psychology of Commitment. Routledge. https://doi.org/10.4324/9781315111308
  • Chennells, M. & Michael, J. (In Press): Phenomenology and the Cognitive Sciences. Breaking the Right Way: A Closer Look at How We Dissolve Commitments
  • Hattersley M., Brown, G., Michael, J., Ludvig, E., (2022), Of Tinfoil Hats and Thinking Caps: Reasoning is More Strongly Related to Implausible than Plausible Conspiracy Beliefs, Cognition, Volume 218, 2022, https://doi.org/10.1016/j.cognition.2021.104956
  • Bonalumi, F., Michael, J. & Heintz, C. (2021), Perceiving commitments: When we both know that you’re counting on me, Mind & Language. https://doi.org/10.1111/mila.12333
  • Székely, M. & Michael, J. (2020), The Sense of Effort: A Cost-Benefit Theory of the Phenomenology of Mental Effort, Review of Philosophy and Psychology. https://doi.org/10.1007/s13164-020-00512-7

und viele weitere, siehe Website von John Michael